1488 - die erste "Schelder Kirmes"   



- und zwar in den Nassau-Dillenburger Renteirechnungen

Niederschelder Kirmes, welch ein Zauberwort für jeden echten Schelder.

Die Kirmes ist durch lange Tradition eine geheiligte Einrichtung -
wehe denen, die etwas Abfälliges äußern oder ihr Zustandekommen durch irgendwelche Machenschaften in Frage stellen!

"In alten Zeiten hatte die Kirmes noch den Charakter eines deutschen Sippenfestes.
Dabei kamen Familiensinn und gegenseitige Verbundenheit der Verwandten in vielen Volksbräuchen zum Ausdruck.
Es wurden die Dorf- und Familienangelegenheiten ausgetauscht
und die Verstorbenen durch gemeinsamen Besuch ihrer Gräber in die Gemeinschaft einbezogen" (P. Dilger).


Das Kirchweihfest (Kirmes) wurde ein Feiertag zur Erinnerung an die Kirchenweihe.
Wann die erste Niederschelder Kapelle geweiht wurde, lässt sich nicht mehr genau feststellen.
Man nimmt das Ende des 13. Jahrhunderts an.

"Die Kirchweih war früher ein Ausgleich für die vergangene arbeitsreiche Zeit
von der Frühjahrsaussaat bis zur eingebrachten Ernte im Herbst.
Für die heranwachsende Jugend hatte der Kirmestag noch eine besondere Bedeutung
als eine Gelegenheit zur Abrechnung von Ehrensachen untereinander.
Dabei wurde aller Groll, der sich im Jahre angesammelt hatte, ausgefochten,
aber nicht mit Worten, sondern mit Fäusten und Latten
und nach der Kirmes sah man wochenlang verbundene Köpfe und Hände.
Die Burschenschaft hatte ihren eigenen Gerichtstag gehalten"
(P. Dilger).


Wegen einer Schlägerei auf der Niederschelder Kirmes im Jahre 1488
wurden junge Leute aus Herbornseelbach und Oberscheld
zusammen 20 Personen mit 25 Gulden Strafe belegt (Becker, Schloss und Stadt Dillenburg, S. 25)

Raufhändel und ähnliche Vorfälle brachten in den vergangenen Jahrhunderten die Kirchweihfeste in Verruf.
Eine landesherrliche Verordnung vom 5.08.1589 für Herborn besagt:
"....die Kirmessen und das Tanzen sonderlich auf Sonntag sind bei Strafe von vier Gulden verboten.
Der Schultheiß wird angewiesen, die Pfarrer und Kirchendiener dazu anzuhalten,
dass sie ihre Zuhörer von solchen Dingen abmahnen!"


Am 12.11.1695 heißt es kurz und bündig:
"Die Sonntags-Kirmessen sind verboten!"
Und noch am 10.06.1742 steht im Herborner Presbyterial-Protokoll vermerkt:
".......es ist den Kirchenältesten zur Herbach nochmals ernstlich vom Preybyterium eingebunden worden,
der Gemeinde zu sagen, dass sie morgen keine Kirmes hielten, wo sie nicht wollten gestraft werden"
(Huth S. 219).


Eine Verfügung des Amtes Dillenburg wendet sich gegen
"das ruchlose Wesen, Fressen und Saufen, Jauchtzen, Schreyen, nächtliches Grassieren,
Tumultieren, Spielen, Pfeifen, Dantzen und Springen sowohl auf Hochzeiten und Kindbetten,
als uff Kirchmessen und in den Würtshäusern, es sey uff Sonn-, Bet- oder Werktagen"
(Nix S. 26).


Um 1750 besagt eine andere alt-nassauische Verordnung:
"Bey Kirchweihen soll bey zwanzig Gulden Strafe das übermäßige Fressen und Saufen und alle Musik unterbleiben"
(H. Diefenbach im "Nasauischen Heimatbuch", S. 243).

"In den Verordnungen wurde sogar belehrend darauf hingewiesen,
dass die Kirmes auf einen heidnischen Ursprung zurückgehe,
die dem christlichen Glauben entgegengesetzt sei,
da bei den Kirmesfeiern die Gabe Gottes verschwendet
und alle unchristlichen Laster und heidnischen Greuel ohne Scham ausgeübt,
alle Bande der Zucht und Ehrbarkeit zerrissen, göttliche und weltliche Gesetze mit Füßen getreten
und der Name und die Ehre Gottes geschändet würden"
(P. Dilger).


Trotz Mahnungen und Verboten, Kriegen und anderen herben Schicksalsschlägen
ließen sich die Niederschelder den Mut nicht nehmen.
Auch in schlechten Zeiten wurde kräftig gefeiert und über die Stränge geschlagen.
Dabei kann man sagen, dass die Schelder beileibe nicht schlechter sind als ihre Nachbarn,
nur sind sie entschieden freier, leben sich aus und machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube!
Bei einem solchen "Ausleben" ging vor rund 250 Jahren (um ca. 1710) der Gemeinde
die bei der oberen Monzenbach gelegene "Eichenhecke" an den Staat verloren,
weil man durch die Kirmes einen entscheidenden Einspruchstermin verpasst hatte (nach Willi Peter+).

Im Rapport-Buch der Schelder Hütte hat ein Formermeister im September 1912 resigniert die bezeichnenden Sätze eingetragen:
"Morgen und übermorgen feiern die Schelder ihre Kirmes".
Ich habe mich bemüht, für Dienstag genug Mannschaft zu bekommen, aber vergebens.
Die paar Fremde, die noch hier sind, sagen,
"die zwei Tage kommen uns gerade recht, wir haben dann auch Nötiges zu Hause zu tun!"
(Mitgeteilt von Felix Wolfram).

Scherr schreibt in seiner "Deutschen Kultur und Sittengeschichte" auf Seite 436:
"....an sehr vielen Orten gehört der alte Fastnachts- und Kirmesjubel bereits zu den Verschollenheiten".
In Niederscheld ist das bis jetzt nicht der Fall.
Hier regiert hauptsächlich noch die Tradition und nicht der Geschäftsgeist.
Das Eigenartige der Schelder Kirmes liegt darin,
dass jeder Festtag durch überlieferte und genau eingehaltene besondere Bräuche und Handlungen sein Gepräge erhält,
und dass das Fest nur alle zwei Jahre stattfindet.
Bis ins 17. Jahrhundert wurde jedes Jahr eine Kirmes abgehalten,
jedoch die schlechten Jahre des 30jährigen Krieges und die nachfolgende Verarmung des Landes ließen es ratsam erscheinen,
nur jedes zweite Jahr - und dann aber richtig- zu feiern!

Die Sitten und Bräuche der Schelder Kirmes:
Die Kirmes wird nach den "Statuten" ausgerichtet.
Veranstalter der Kirmes ist die "Burschenschaft".
Wahl der "acht ältesten Burschen", die suchen sich ein Kirmesmädchen,
an der Spitze steht der Kirmesvater mit der Kirmesmutter.
Die "Acht Ältesten" kaufen den Hammel
und die beiden Kirmestücher - ein weißes und ein blaues Seidentuch;
besorgen die Bänder zum Schmücken des Hammels.
Der Hammel bleibt bis zur Kirmes in guter Verwahrung bei dem gewählten Hammelführer.
Beteiligung der Mordgeschichte (Musterungsjahrgänge).
Einbindung der 50 jährigen und Pohlhälsen der neu Vermählten zwischen der letzten und der aktuellen Kirmes.
Die "Drei ersten Tänze" der Acht Ältesten
Der "Kisschestanz"
"Vor hundert und zweihundert Jahren wurden der Hammel und die Tücher aus den besten Erzeugnissen der Niederschelder Bauern ausgesucht" (Hildegard Ebert, Kirmesmutter 1955).

Diese Erklärung ist nicht sicher, jedoch annehmbar, und der Ursprung der Kirmessymbole scheint hier zu suchen zu sein.
Scheld besaß in früheren Zeiten große Schafherden,
und der stolzeste Hammel aus der besten Zucht wurde als Kirmeshammel verwendet.
Aus dem selbstgewebten Leinen der Schelder Mädchen wurden die zwei schönsten Tücher ausgesucht
und eine Familie gewann damals sehr an Ansehen, wenn es ihr gelang,
in einem Jahr den Hammel und die Tücher zu stellen
und vielleicht der Sohn "Kirmesvater" wurde oder die Tochter die Stelle der "Kirmesmutter" einnahm.
Vielleicht handelt es sich bei dem Hammel und den Tüchern aber noch um viel ältere Sachleistungen,
die zur Ablösung des Zehnten an die Herborner Kirche geliefert wurden.
Denn "noch 1723 zahlte Niederscheld den Fruchtzehnten an die erste Herborner Pfarrei" (Huth S.192).

Der fest umrissene Verlauf der Kirmes hat sich anscheinend erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts herauskristallisiert.
Das Zusammenfassen der Bräuche, die genauen Statuten und das strikte Einhalten der einmal aufgestellten Regeln tragen dazu bei,
unser Kirmesbrauchtum zu erhalten.

Früher schlug man "Unter den Linden" einfach Tische und Bänke auf.
Der Tanzboden wurde rund um die "Friedenslinde" gelegt.
(Schelder Bürger hatten diese im Herbst 1871 zum Andenken an den glücklichen Friedenschluß
des Deutsch-Französischen Krieges gepflanzt.
Leider fiel sie wie so vieles andere den Bomben zum Opfer).
Man feierte bei Tag an der Dill und abends zog man geschlossen ins Dorf
und feierte in verschiedenen Wirtschaften weiter.
Denn damals fand die Kirmes am letzten Sonntag im September,
nach der Ernte, statt und da war es an der Dill abends schon recht kühl.

In der "Zeitung für das Dillthal," 1886, Nr. 83, Samstag, den 17. Juli, steht nachfolgende Notiz:
"Sonntag, den 18. und Montag, den 19. d. Mts.
findet die bisher im Spätherbst abgehaltene Niederschelder Kirchweih statt.
Da in den letzten Jahren mit dem Fest sich meistens ungünstige Witterung einstellte,
so wurde beschlossen, dasselbe jetzt in einer wärmeren Jahreszeit zur Ausführung zu bringen.
Hoffentlich wird das Gewölk am Horizont bald verziehen
und sich wieder ungetrübter Sonnenschein einstellen,
damit die Feier nicht gestört wird.
An beiden Nachmittagen halb 3 Uhr wird sich der festlich geschmückte Zug durch die Hauptstraße
nach dem Festplatz "Unter den Linden" bewegen, wo Musik und Tanz Jung und Alt in heiterer Stimmung unterhalten wird.
Bei günstiger Witterung findet daselbst auch nachts Tanzvergnügen bei italienischer Beleuchtung statt.
Herr Gastwirt Frick und Frau Ww. Breidenstein werden die Wirtschaft übernehmen
und für gute Speisen und Getränke Sorge tragen".


In den zwanziger Jahren, als die Einwohnerzahl immer größer wurde,
verlegte man das Fest ganz an die Dill und baute ein Zelt auf, wie wir es heute gewohnt sind.
Gleichzeitig wurde das Festdatum endgültig vom September auf Ende Juli-Anfang August verlegt.
Die älteren Einwohner kennen noch den Ausdruck "Sommerkirmes".
Nun bemühten sich auch Schieß- und Glückbudenbesitzer
und die Inhaber von Zucker- und Spielwaren um einen Standplatz.
In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert,
dass früher nie ein größerer Vergnügungspark aufgeschlagen werden dürfte,
um aus dem Volksfest kein kommerzieller Rummel zu machen.
Die Gemütlichkeit der Feiernden sollte keinesfalls beeinträchtigt werden,
deshalb waren Tanzboden und die Musikkapelle vor Jahren auch schon einmal im Freien untergebracht
- davon ist man aber wegen der unbeständigen Witterung wieder abgekommen.
Bei der letzten Kirmesversammlung (am Donnerstag vor Festbeginn)
erklingt dann zum ersten Mal der Niederschelder Kirmesmarsch.
Bei dem Marsch handelt es sich um den "Alten Jägermarsch".

"Der 'Alte Jägermarsch' wird unter der Bezeichnung Marsch der freiwilligen Jäger aus den Befreiungskriegen
in der ersten Folge der Heeresmärsche geführt.
Über den Komponisten und die Entstehung des Marsches ist, wie auch bei den anderen Märschen aus dieser Zeit, nichts bekannt".
(Polizei-Hauptkommissar Winkel von der Berliner Schutzpolizei).

Es mag sein, dass im Dillkreis Kirchweihfeste begangen werden, die noch älteren Ursprungs sind,
aber die Kirmes in Niederscheld wird mit einer großen Anteilnahme und Mitarbeit der gesamten Einwohner
und vor allem der Jugend vorbereitet und gefeiert.


Quelle:
Chronik W. Nix, 1927
A.W. Brück, 1966